Die Nacht im Zelt war etwas durchwachsen. Einerseits hat sich mein Rücken heute Morgen für den großartigen Untergrund bedankt – die Kombination aus Isomatte und Wiese ist besser als jede Matratze. Andererseits war es zeitweise doch etwas frisch gewesen und ich war immer wieder aufgewacht, weil die Luft, die durch die winzige Öffnung in meinem Schlafsack reingeschlichen kam, so kalt war, dass ich husten musste oder einfach nur an der Nasenspitze fror. Außerdem hing unser Außenzelt morgens voller Midgies, die teilweise im Kondenswasser ertrunken waren – zum Glück schaffen sie es aber nicht durch die Maschen des Moskitonetzes hindurch, das wäre sonst eine lustige Nacht geworden!
Das Frühstück war lecker und in guter Gesellschaft mit den ganzen anderen Wanderern. Nach dem Frühstück folgte dann die große Pack-Aktion vor der Bar. Auf der Wiese waren die Midgies schier unerträglich weshalb wir unsere Sachen einfach alle in die Rucksäcke schmissen und dann vor der Bar, wo es etwas erträglicher war, ordentlich packten. Der bartlose John nutzte die Gelegenheit, sich genau anzusehen, was ich im Rucksack habe und mich seinen Rucksack hochheben zu lassen. Heute hatten sehr viele von den Wanderern auf einmal auch Moskitonetze für den Kopf, um die Midgies auf Abstand zu halten. Gestern waren Frank und ich noch die einzigen gewesen – aber in dem sehr gut ausgestatteten Campstore von Beinglas waren die Dinger der Verkaufsschlager.
Wegen der vielen Midgies hatte Frank heute nicht seinen Kilt sondern seine Hose angezogen. Kaum waren wir losgegangen, führte der Weg erstmal nur über sonnendurchflutete, freie Flächen über die der Wind strich – also alles Midgies-freie Zone. Die Aussichten waren traumhaft und wir kamen flott voran. Der Anstieg war gut zu bewältigen, die einzige wirkliche Herausforderung war, durch die Unterführung unter der Eisenbahn durchzukommen, ohne entweder sich selbst oder den Rucksack abzuschrammen – ich hab natürlich sowohl mein Knie als auch meinen Rucksack geschrammt.
Ohne große Ereignisse erreichten wir Crianlarich, das auf der Hälfte der heute geplanten Etappe nach Tyndrum lag und auch die Hälfte des West Highland Ways für uns markierte. Wir sparten uns den Kilometer zum Pub nach unten und gingen weiter, um einen Midgies-freien Platz zum Mittagessen zu finden. Natürlich war genau jetzt wieder alles schattig und unter Bäumen, so dass wir erst eine Stunde später eine geeignete Stelle fanden. Da wir hier die selbst mitgebrachten Leckereien verspeisten und sich niemand zu uns gesellte, war das ganze eine recht schnelle Angelegenheit und wir waren schon bald wieder unterwegs. Es ging steil bergab und dann flach weiter nach Tyndrum. Kurz vor Tyndrum legten wir noch eine kleine Pause auf der Auchtertyre Farm ein. Es gab Irn Bru, den schottischen National-Softdrink, für uns beide und ich aß ein „Scottish Tablet“ – einen Riegel aus Caramel, also fast 100g puren Zucker mit Fett.
Solchermaßen gestärkt verflogen die verbleibenden 3,5 km nach Tyndrum im Nullkommanichts und wir erreichten das Hostel dort gegen kurz nach drei. Viel zu früh, um den Tag zu beenden! Nachdem wir uns gerade beide noch einig gewesen waren, dass es definitiv keine Option war, die zehn Kilometer nach Bridge of Orchy weiterzuwandern, waren wir uns jetzt nach einem Blick auf die Etappenbeschreibung einig, dass es doch eine gute Idee war, heute statt morgen die dreißig Kilometer voll zu machen.
Nach einem kurzen Stop beim Geldautomaten ging es um halb vier los. Die Strecke war relativ flach und ohne große Kraxeleien, wir kamen also gut voran. Die erste Hälfte der Strecke bot noch einige schöne Ausblicke auf ein paar beeindruckende Berge und ich hielt die ganze Zeit Ausschau nach Bergziegen. Leider sah ich aber nur Schafe und Kühe. Bei der Brücke, die die Hälfte der Strecke von Tyndrum nach Orchy markierte, holten wir die beiden Franzosen ein. Jetzt taten mir meine Füße richtig weh und ich fing an, daran zu zweifeln, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, weiterzugehen. Da das Hotel aber schon reserviert war, konnten wir nicht einfach an einem der Campspots entlang des Wegs halten sondern mussten weitergehen. Der Trail war die reinste Schotterpiste und jeder Schritt tat weh. Ich konzentrierte mich nur noch aufs Laufen und versuchte, so schnell wie möglich voranzukommen, um das Elend hinter mir zu haben. Die Strategie ging auf – um viertel vor sechs erreichten wir Bridge of Orchy!
Das Hotel ist ein wunderschönes altes Haus direkt am Trail, die Zimmer sind in modernen Bauten auf der Wiese zum Bach hinunter untergebracht. Das Zimmer ist definitiv das schönste, das wir bisher hier hatten. Und das Essen im Restaurant war auch das leckerste entlang des Trails bisher. Allerdings sieht meine Blase von dem Loch im Socken jetzt etwas übel aus. Durch das Blasenpflaster, mit dem wir die Blase angeklebt haben, ist es noch schlimmer geworden, ich sollte einfach die Finger von diesen Pflastern lassen, bei mir funktionieren die nicht.
Im Hotel in der Bar haben wir noch ein paar andere Wanderer wiedergetroffen, allerdings sind wir nach dem 30 km alle ziemlich müde und waren nicht sehr gesprächig. Heute Nacht schlafen wir sicher gut!