Heute stand der krönende Abschluss unserer Wanderung an. Eigentlich endet der West Highland Way in der Fußgängerzone von Fort William aber das ist irgendwie zu undramatisch. Glücklicher Weise liegt der höchste Berg Großbritanniens direkt am Trail und es bietet sich an, vor den letzten drei Kilometern da noch hoch zu klettern. 1.345 Meter Gipfelhöhe klingt erstmal gar so schlimm, nur bin ich ja nicht wirklich als guter Bergsteiger bekannt und außerdem geht es auf Meereshöhe los. Das heißt, 1.345 Meter auf 8 Kilometer, was 4.039 Fuß auf 5 Meilen entspricht, was wiederum nur knapp unter meiner Schmerzgrenze von 1.000 Fuß pro Meile liegt. Die geneigte Leserin bzw. der geneigte Leser merken, ich hatte gehörigen Respekt vor diesem Berg. Der Anblick, den er gestern beim Abstieg in das Tal bot, trug auch dazu bei und dann war da ja noch der gestrige Abend. Ich habe ganz vergessen zu schreiben, dass wir um 21 Uhr noch Lichter auf halber Höhe gesehen haben. Jedenfalls hielten wir es für die halbe Höhe. In Wirklichkeit hatten die noch 2/3 des Weges vor sich!
So spät wollten wir auf keinen Fall absteigen! Laut den diversen Aushängen braucht man für die gesamte Tour sechs bis acht Stunden und da wir ja nicht die schnellsten Wanderer sind, bin ich in der Planung eher von letzterem ausgegangen. Um 14 bis 15 Uhr sollte es anfangen zu regnen, also mussten wir spätestens um neun los, wenn uns das nicht zu weit oben erwischen sollte. Gestern Abend hatten wir schon bei der Rezeption angefragt, ob wir den Großteil unserer Sachen unterstellen könnten und heute habe ich uns zwei große Müllsäcke besorgt, in denen wir das Zelt, die Schlafsäcke, die Isomatten und alles mögliche andere Zeug deponiert haben. Letztendlich hatten wir nur noch Wasser, Essen, das First Aid Kit und alle unsere Klamotten dabei.
Um fünf vor neun standen wir dann hinter der Jugendherberge, wo der Sidetrail steil hoch zum eigentlichen Weg startet. Letzterer beginnt etwas weiter unten im Tal beim Besucherzentrum. Am Schild neben dem Weg stand, dass man in etwa 30 Minuten oben auf dem Weg sein sollte. Wir standen um zehn nach neun dort! Wenn es aufwärts geht ist Veronika einfach nicht aufzuhalten… An der Wegkreuzung stand eine Fahne und ein Mann mit Funkgerät und Klemmbrett. Er erklärte uns, dass heute irgendein Charity Event stattfindet und deshalb Dutzende Wanderer mit gelben Tüchern den Berg hochkraxeln. Bei vielen waren wir aber der Meinung, dass sie es niemals bis zum Einbruch der Dunkelheit wieder nach unten schaffen würden!
Nach einer Stunde standen wir am nächsten Checkpoint am Half Way Loch. Der Name ist etwas irreführend! Wie wir im Verlauf der weiteren Aufstiegs gemerkt haben, liegt diese See eher auf 1/3 der Höhe. Trotzdem war es schon hier so extrem windig, dass wir unsere Regenjacken anziehen mussten und Veronika sogar darüber nachdachte, ihre Handschuhe rauszusuchen. Es sollte auch nicht mehr besser werden. Abhängig von der Richtung der Weges, der in unendlichen Serpentinen nach oben führte, kam der Wind entweder von vor oder von hinten. Wobei letzteres angenehmer war. Einerseits ist man vom Rucksack geschützt und außerdem schiebt es ein wenig.
Von einem wirklichen Wanderweg konnte man auch nicht mehr sprechen. Es war eine einzige graue Geröllhalde. Als wir die nächste Fahne und damit den nächsten Checkpoint der Charitywanderer gesehen haben, dachte ich, dass ja jetzt eigentlich nur noch das Gipfelplateau kommen könne. Denkste! Kaum kamen wir über den Grat, da türmte sich die nächste, steile Rampe vor uns auf. „It flattens out.“ („Es wird flacher.“) Der Kommentar des Streckenpostens geisterte die ganze Zeit durch meinen Kopf, während ich mich schnaufend hinter Veronika den Berg hoch quälte. Irgendwann wurde es aber wirklich flacher und da wir ja bekanntlich Wetterglückskinder sind, hatten wir sogar ganz gute Sicht. Normalerweise liegt der Gipfel 90 Prozent der Zeit in den Wolken. Dort oben scheint wohl extrem selten die Sonne. Auf der Nordseite haben wir sogar noch Schnee liegen sehen.
Um fünf vor zwölf, nach genau drei Stunden standen wir oben auf dem Gipfel. Das war wesentlich schneller als erwartet! Wir hatten gerade noch fünf Minuten gute Sicht bevor die nächste Wolke uns einhüllte. Das Gipfelfoto mussten wir schon im Nebel schießen. Da es außerdem auch immer kälter wurde, haben wir uns nur kurz die Ruinen des Observatoriums und das Notshelter angesehen und uns dann wieder auf den Rückweg gemacht.
Jetzt brauchte Veronika auch wirklich ihre Handschuhe. Je tiefer wir kamen ums so wärmer würde es aber wieder. Dafür wirkten die Gesichter der entgegenkommen Wanderer immer gequälter. Der ein oder andere wurde wohl auch noch von der Streckenposten zum Umkehren überredet. Außerdem kamen uns immer mehr Männer mit zwei Rucksäcken entgegen während ihre Frauen nichts mehr tragen mussten oder konnten. Wir fanden den Gedanken echt lustig, wie die geguckt hätten, wenn Veronika mit unseren beiden Rucksäcken vorweg gestürmt wäre und ich mich ohne Gepäck hinterher geschleppt hätte.
Wahrscheinlich wären wir so noch schneller gewesen! Leider musste ich mein Zeug aber selbst hoch und runter tragen. Bis zum Half Way Loch waren wir sogar eine halbe Stunde schneller als beim Aufstieg. Danach hat uns dann aber der aufkommende Regen gebremst. Es hat zwar nur genieselt, aber die Steine waren jetzt echt rutschig und man musste aufpassen, wohin man die Füße setzt. Um viertel vor drei, nach fünf Stunden und 50 Minuten, standen wir wieder am Fuß des Berges. Da waren wir schon etwas stolz, noch unter der angegebenen Minimalzeit zu liegen! (Auch wenn der Rekord wohl bei etwa 1:30h liegt.)
Nachdem wir uns mit Cider, Guinness, Lemon Cheesecake und Himbeer-Cranachan (ein schottisches Schichtdessert) belohnt hatten, ging es zurück zum Zeltplatz. Um vier hatten wir wieder alles in unseren Rucksäcken und vor uns lagen nur noch 2,7 Kilometer bis in die Innenstadt von Fort William. Leider ging es die ganze Zeit an der Straße entlang. Auf halbem Weg tauchte vor uns die Rentnergruppe, die uns schon am Loch Lomond immer wieder begegnet war. Sie haben mich auch gleich als „the German Kilt“ wiedererkannt. Als wir am Ortseingang auf das ehemalige Ende des West Highland Ways gestoßen sind und sie gebeten haben, mit meiner Kamera ein Foto von uns zu machen, hat der ein oder andere bzw. vor allem die ein oder andere auch gleich wieder Fotos von uns gemacht…
Die Strecke durch die Stadt war etwas verwirrend, da die Markierungen, wie schon auf dem gesamten Weg, etwas spärlich gesät waren. Mit Hilfe des Wanderführers haben wir es aber bis ans Ende der Fußgängerzone an den offiziellen Endpunkt geschafft. Während Veronika sich mit einem anderen Pärchen aus Hamburg unterhielt, baten die lustigen Rentner mich, ein Gruppenfoto von Ihnen zu machen. Als ich nur zwei Kameras in die Hand gedrückt bekam, habe ich etwas verwundert gefragt, ob das alle seien. Daraufhin sammelten sich dann neun Telefone und Kameras vor mir auf der Bank. Es war schwieriger als gedacht, die Herrschaften ruhig auf ein Bild zu bekommen. Wie ein Sack Flöhe! Das lag aber vielleicht auch am Sekt, von dem wir dann als Belohnung für meine Mühen auch jeder ein Glas bekamen.
Nur ein paar Schritte weiter lag das West End Hotel. Da hatten wir uns schon vor einigen Wochen ein Zimmer reserviert. Das sollte man für Fort William auch machen. 90% der Bed & Breakfasts hatten ein No Vacancy Schild draußen hängen und da die Stadt für viele Touristen den Zugang zu Ben Nevis darstellt, ist es auch echt teuer, wenn man nicht im Voraus bucht. Auch die Suche nach einem Abendessen war etwas schwierig. Die ersten zwei Restaurants boten uns an, um neun wieder zu kommen und erst im dritten, etwas weniger schönen, hatten sie einen freien Tisch für uns. Morgen machen wir einen Zero und entscheiden dann, abhängig vom Wetterbericht, wie es weiter geht.
Noch 0km